: "Urteil eine Klatsche" für Israel

26.01.2024 | 17:26 Uhr
Der Internationale Gerichtshof hat Israel zur Zurückhaltung im Gaza-Krieg aufgefordert, aber keinen Stopp der Offensive verlangt. Reaktionen und Einschätzungen zur Entscheidung.

Der Internationale Gerichtshof verpflichtet Israel nicht zum Ende des Krieges in Gaza. Die Richter beauftragen Israel aber, mehr Schutzmaßnahmen für die Palästinenser zu ergreifen.

26.01.2024 | 01:31 min
Es ist ein klares Signal aus Den Haag: Der Internationale Gerichtshof hat die Gefahr von Völkermord im Gazastreifen festgestellt und Israel verpflichtet, alles zu tun, um das zu verhindern. Das Weltgericht ordnete zwar nicht das Ende des israelischen Militäreinsatzes an. Dennoch wird die Entscheidung vielfach als Schlappe für Israel bewertet.
In dem höchst brisanten Völkermordverfahren war dies nur eine erste Entscheidung. Südafrika hatte die Klage Ende Dezember eingereicht und Israel die Verletzung der Völkermordkonvention vorgehalten. Zugleich hatte Südafrika in einem Eilantrag Schutzmaßnahmen für die Palästinenser und ein Ende des Militäreinsatzes gefordert.

Wichtige Punkte der IGH-Entscheidung in Kürze:

  • Israel muss bei seinem Militäreinsatz im Gazastreifen jegliche Taten im Zusammenhang mit einem möglichen "Genozid" verhindern
  • Das Land muss ein Aufhetzen zu einem "Völkermord" "verhindern und bestrafen"
  • Israel muss sich stark für eine Verbesserung der humanitären Bedingungen im Gazastreifen einsetzen

ZDF-Korrespondent Gunnar Krüger: "Wir den Spielraum für Israel einschränken."

26.01.2024 | 01:31 min
Die 17 Richter befassten sich noch nicht mit dem Vorwurf des Völkermordes. "Das Gericht hat heute nicht in der Sache entschieden", berichtet ZDF-Korrespondent Gunnar Krüger aus Den Haag. Eine Entscheidung darüber könne noch Jahre dauern, erläutert er. In der Sache gehe es darum, ob Israel Vorsatz vorgeworfen werden könne. Dennoch werde die nun getroffene Entscheidung des IGH bereits Auswirkungen auf Israel haben, so Krüger.

Was wirft Südafrika Israel vor?

In der Klageschrift beschreibt Südafrika die Gewalt Israels gegen Palästinenser im Gazastreifen im Zuge des Nahost-Konflikts als Taten mit dem Charakter eines Völkermords. Südafrika beruft sich auf die UN-Völkermordkonvention, die sowohl Israel als auch Südafrika unterzeichnet haben. Israel töte Palästinenser, "füge ihnen schweren geistigen und körperlichen Schaden zu und schaffe Lebensumstände, die auf ihre physische Zerstörung zielen".

Südafrika nennt die hohe Zahl von Todesopfern, israelische Bombenangriffe, erzwungene Flucht, Angriffe auf Krankenhäuser und Geburtskliniken sowie die Blockade des Gebiets, die zu einem Mangel an Nahrungsmitteln und Trinkwasser geführt hat. Das Land zitiert UN-Experten, Zeugen und Hilfsorganisationen. Auch werden Äußerungen israelischer Minister als Beleg für die Absicht des Völkermords angeführt.

Netanjahu: Israel wird sich weiter "gegen die Hamas zur Wehr setzen"

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat die Entscheidung des UN-Gerichts zurückhaltend aufgenommen. Israels Respekt für das internationale Recht sei "unerschütterlich". In einer Video-Botschaft sagte Netanjahu:
Wir werden tun, was notwendig ist, um unser Land zu verteidigen und um unser Volk zu verteidigen.
Benjamin Netanjahu, Ministerpräsident Israel
Israel werde sich aber zugleich weiterhin "gegen die Hamas, eine völkermordende terroristische Organisation, zur Wehr setzen". Netanjahu nannte den Völkermordvorwurf gegen sein Land empörend.

Mit deutlichen Worten hat Israel vor dem Internationalen Gerichtshof den Vorwurf des Völkermordes im Gaza-Krieg zurückgewiesen. Ein Ende des Militäreinsatzes lehnt Israel ab.

12.01.2024 | 02:29 min
Israel weist die Vorwürfe als haltlos zurück und beruft sich auf das Recht zur Selbstverteidigung. "Israel ist im Krieg mit Hamas, aber nicht mit dem palästinensischen Volk", erklärten die israelischen Rechtsvertreter vor Gericht. Die hohe Zahl von zivilen Opfern gehe auf das Konto der Hamas:
Hamas hat systematisch und unrechtmäßig seine militärische Infrastruktur eingebettet in Schulen, Moscheen, Krankenhäuser und andere kritische Stellen. Das ist eine geplante, abscheuliche Methode der Kriegführung.
Die Rechtsvertreter Israels vorm Internationalen Gerichtshof

Hamas begrüßt IGH-Entscheid

Die islamistische Hamas hat den IGH-Entscheid hingegen begrüßt: "Das ist eine wichtige Entwicklung, die dazu beiträgt, dass Israel international isoliert wird", teilte ein Sprecher der Terrororganisation mit.
Das Verfahren vor dem UN-Weltgericht werde "Israels Verbrechen im Gazastreifen zur Schau stellen", fügte er laut Mitteilung hinzu. Die internationale Gemeinschaft müsse nun Israel zwingen, den Richterspruch umzusetzen.

ZDF-Korrespondent: "Urteil eine Klatsche" für Israel

ZDF-Korrespondent Luc Walpot ordnet die IGH-Entscheidung bei ZDFheute live ein:
Das Gericht hat nicht festgestellt: Israel muss die Kampfhandlungen einstellen. Das ist aus israelischer Sicht schon mal eine gute Nachricht.
Luc Walpot, ZDF-Korrespondent Tel Aviv
Er sagt aber auch: Das IGH-Urteil bedeutet für Israel eine Niederlage in seiner Sichtweise der bisherigen Kriegshandlungen. Die Vorsitzende Richterin Joan E. Donoghue habe mit zahlreichen Beispielen unter anderem aus Berichten von UN-Berichterstattern und der WHO begründet, dass Gefahren für die Volksgruppe der Palästinenser gegeben seien.

Die Anerkennung der Klage Südafrikas sei für Israel eine Niederlage, so Korrespondent Luc Walpot. Das bedeute aber nicht, dass Israel eines Brechens der Konvention überführt wurde.

26.01.2024 | 09:51 min
Luc Walpot erläutert die Knackpunkte für Israel: Das Gericht habe die Klage Südafrikas zugelassen und habe damit den Vorwurf, dass Israel die Völkermordkonvention bricht, als plausibel eingeschätzt. Das sei für Israel "eine äußerst schlechte Sache", so Walpot.
Für Israel ist das Urteil eine Klatsche.
Luc Walpot, ZDF-Korrespondent Tel Aviv
Laut der Vorsitzenden Richterin am IGH muss Israel gewährleisten, dass es der UN-Völkerrechtskonvention folgt und sich dafür auch einsetzt. Israel müsse mehr und effizienter die palästinensische Bevölkerung schützen. "Das Urteil ist bindend", erläutert Walpot.

Der Internationale Gerichtshof erachte es als hinreichend plausibel, dass ein gesteigertes Risiko für einen Völkermord bestehe, so Rechtswissenschaftlerin Prof. Stefanie Bock.

26.01.2024 | 03:11 min

Baerbock: Israel muss sich an Vorgaben halten

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat Israel aufgerufen, die Vorgaben des Internationalen Gerichtshofs (IGH) zu beachten. "Diese sind völkerrechtlich verbindlich", sagte sie. Baerbock stellt aber auch klar:
Der Gerichtshof hat zugleich deutlich gemacht, dass Israels Vorgehen in Gaza auf den barbarischen Terror des 7. Oktobers folgt, und daran erinnert, dass auch Hamas an das humanitäre Völkerrecht gebunden ist und endlich alle Geiseln freilassen muss.
Annalena Baerbock, Außenministerin
Deutschland werde Israel weiter "mit aller Kraft unterstützen". Allerdings müsse Israel auch "dringend mehr humanitäre Hilfe nach Gaza zu lassen."

Was geschieht nun nach der IGH-Entscheidung?

Jede Entscheidung des UN-Gerichts ist bindend. Die Richter haben zwar keine Machtmittel, um die Durchsetzung zu erzwingen. Doch es gilt als das "Weltgericht" und der internationale Druck auf Israel erhöht sich durch die Entscheidung. Insbesondere die USA als enger Partner Israels werden nun vermutlich noch mehr auf die israelisch Regierung einwirken.
Quelle: dpa, ZDF, AFP

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