: Baerbock will Sondertribunal gegen Kreml

16.01.2023 | 16:02 Uhr
Außenministerin Baerbock hat gefordert, den Kreml für den Angriffskrieg gegen die Ukraine vor ein Sondertribunal zu stellen. Zudem müsse geprüft werden, ob ein Völkermord vorliege.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock fordert bei ihrem Besuch in Den Haag ein Sondertribunal gegen die Führungsriege Russlands.Quelle: Christophe Gateau/dpa
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock will die russische Führungsriege mit einem internationalen Sondertribunal für den Angriffskrieg gegen die Ukraine zur Rechenschaft ziehen. Das Tribunal soll gegen die russische Führung ermitteln und sie vor Gericht stellen können, machte die Grünen-Politikerin am Montag bei ihrem Besuch in Den Haag deutlich.
Außerdem müsse man den Verdacht auf Völkermord angesichts der russischen Angriffe auf Zivilbevölkerung und die kritische Infrastruktur prüfen. Parallel schlägt Baerbock eine Reform des Völkerstrafrechts vor.

Baerbock will Tribunal-Standort außerhalb der Ukraine

Sie habe mit ihrem ukrainischen Kollegen Dmytro Kuleba vergangene Woche beim Besuch in der Ostukraine darüber gesprochen, gemeinsam mit einigen Partnern eine solche Möglichkeit eines Sondertribunals zu schaffen, sagte Baerbock.
Wichtig sei, dass dies durch eine internationale Komponente ergänzt werde. So könne zum Beispiel ein Standort außerhalb der Ukraine mit finanzieller Unterstützung durch Partner und mit internationalen Staatsanwälten und Richtern die Unparteilichkeit und die Legitimität dieses Gerichtes untermauern, betonte die Ministerin.

Außenministerin Baerbock: Vorliegen eines Völkermords prüfen

Zur geforderten Prüfung des Völkermord-Vorwurfs sagte Baerbock bei einem gemeinsamen Auftritt mit dem niederländischen Außenminister Wopke Hoekstra, es seien Verbrechen verübt und von der russischen Führung bewusst und gezielt eingesetzt worden, "die wir uns im 21. Jahrhundert nicht mehr hätten vorstellen können".
Wir müssen uns angesichts dieser Brutalität, angesichts der Kriegsverbrechen (...) anschauen, inwieweit dies nicht auch Formen von Völkermord einnimmt.
Annalena Baerbock, Bundesaußenministerin
Auch die Berichte, dass Kinder aus annektierten Gebieten nach Russland entführt und zur Adoption freigeben würden, seien unerträglich, sagte die Grünen-Politikerin. Dies stelle ein "international geächtetes Verbrechen" dar.

Tatbestand "Angriffskrieg" steht zur Debatte

Baerbock schlug zugleich eine Reform des Völkerstrafrechts vor, um eine eklatante Rechtslücke zu schließen. Demnach sollen die rechtlichen Grundlagen für den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag mittelfristig so angepasst werden, dass auch der Tatbestand des Angriffskrieges uneingeschränkt verfolgt werden kann.
Dies ist aktuell unter anderem deswegen nicht möglich, weil weder Russland noch die Ukraine Vertragspartner des Römischen Statuts als Rechtsgrundlage für den Gerichtshof sind. Es dürfe "keinen Sonderweg für ein Land, für einen Aggressor geben", sagte Baerbock.
Das, was wir schaffen, muss von möglichst vielen in der Welt getragen werden.
Annalena Baerbock, Bundesaußenministerin
Mit dieser Konstruktion solle der Internationale Strafgerichtshof gestärkt und nicht geschwächt werden.

Baerbock fordert klare Botschaft an Kreml

Ein Sondertribunal sei "keine ideale Lösung, auch nicht für mich", sagte Baerbock. "Aber dass wir diese Sonderlösung brauchen, liegt daran, dass unser Völkerrecht eben derzeit eine Lücke hat."
Man brauche eine "ganz klare Botschaft an die russische Führung (...) und damit auch an alle anderen in der Welt, dass ein Angriffskrieg in dieser Welt nicht ungestraft bleibt". Baerbock räumte ein, das angepeilte Tribunal werde den russischen Präsidenten Wladimir Putin, Ministerpräsident Michail Mischustin und Außenminister Sergej Lawrow zunächst nicht anklagen können.

Putin wohl vorerst sicher vor Strafverfolgung

Wegen deren besonderer Immunität ist es voraussichtlich erst möglich, Putin, Mischustin und Lawrow nach Ende ihrer Amtszeit anzuklagen. Mit ihrem Vorstoß zielt Baerbock auf die russische Führungselite. Dabei dürfte es um bis zu 25 Mitglieder des russischen Sicherheitsrates gehen, angefangen etwa bei Verteidigungsminister Sergej Schoigu.
Die Einrichtung eines Sondertribunals hat nach Ansicht von Rechtsexperten auch Nachteile. So müsste ein solches Gericht erst langwierig aufgebaut werden, von der Anstellung der Richter und Ankläger bis hin zur Erstellung eines rechtlichen Rahmens.

Niederlande engagieren sich für Ermittlungen zu russischen Kriegsverbrechen

Auch ein Sondergericht bietet keine Garantie, dass tatsächlich auch Putin oder seine Führungsriege vor Gericht gestellt werden. Denn zur Zeit scheint es ausgeschlossen, dass sie jemals ausgeliefert werden.
Baerbock hob das niederländische Engagement zur Einrichtung einer Ermittlungsbehörde für das russische Aggressionsverbrechen in Den Haag hervor. Dies sei "ein wichtiges Instrument, um das Verbrechen der Aggression zu untersuchen". Zugleich rief sie die Ukraine auf, das Römische Statut als Grundlage des Internationalen Strafgerichtshofs zu ratifizieren.
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Quelle: dpa

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