: Straftäter abschieben - was rechtlich geht

von Virginia Baumbach und Birgit Franke
19.06.2024 | 13:06 Uhr
Das Mannheimer Attentat hat die Debatte um eine härtere Abschiebepolitik neu entfacht. Im Gespräch: Abschieben nach Syrien und Afghanistan via Nachbarländer - geht das überhaupt?

Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) hält die Umsetzung von Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien für "hochkomplex" und fordert, diese müssten "rechtsstaatlich ablaufen".

20.06.2024 | 04:20 min
Kanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte unmittelbar nach der tödlichen Messerattacke in Mannheim an, ausländische Straftäter in ihre Heimatländer abzuschieben. Konkret geht es um Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien. Doch die aktuelle politische Lage in beiden Länder begründet hohe rechtliche und tatsächliche Hürden für Abschiebungen.

In Potsdam beraten die Innenminister über Abschiebungen von Straftätern und islamistischen Gefährdern nach Afghanistan und Syrien. Bundesinnenministern Faeser bestätigt, dass bereits Verhandlungen mit verschiedenen Staaten laufen.

19.06.2024 | 01:46 min

Abschiebestopp nach Afghanistan

Grundsätzlich werden Ausländer nach deutschen Recht bestraft. Zusätzlich regelt das Aufenthaltsgesetz, dass ausländische Täter bei schweren Straftaten ausgewiesen werden können.
Aber Ausweisung ist nicht gleich Abschiebung. Wer Opfer politischer oder sonstiger Verfolgung ist, darf nie abgeschoben werden, egal ob Straftäter oder nicht.
Ich weiß, dass das für Bürgerinnen und Bürger nur schwer zu akzeptieren ist, aber selbst wenn jemand einen Terrorakt begeht – [...] wenn eine Verfolgung droht, dann darf er nicht abgeschoben werden.
Prof. Daniel Thym, Leiter Forschungszentrum Ausländer- & Asylrecht, Uni Konstanz
Droht einer Person im Heimatland hingegen keine Verfolgung, kann ihr subsidiärer Schutz gewährt werden und zwar dann, wenn im Heimatland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gelten etwa die Todesstrafe oder Folter. Personen aus Syrien erhalten regelmäßig subsidiären Schutz. Bei schweren Straftaten kann dieser aufgehoben und Straftäter damit, sofern die Verhältnisse im Heimatland es zulassen, abgeschoben werden.
Seit der Machtübernahme der Taliban im Jahr 2021 gilt hingegen ein genereller Abschiebestopp nach Afghanistan.

Der CDU-Politiker Thorsten Frei wirft der Ampel-Regierung Untätigkeit bei der Abschiebung islamistischer Straftäter nach Afghanistan und Syrien vor und fordert einen "grundlegenden Paradigmenwechsel" in der Migrationspolitik.

06.06.2024 | 04:46 min

Abschiebung über Nachbarländer

Als Reaktion auf den Vorfall in Mannheim sollen nun bei der Innenministerkonferenz neue Abschiebepläne, insbesondere nach Afghanistan vorgestellt werden. Diese sehen unter anderem die Möglichkeit vor, Abschiebungen über Nachbarländer Afghanistans wie Usbekistan vorzunehmen. Dadurch soll verhindert werden, dass Deutschland direkte Verhandlungen mit den Taliban führen und diese zumindest indirekt als Regierung anerkennen muss.
Bundesinnenministerin Faeser bestätigte, dass es Kontakt zu den Behörden in Usbekistan gebe. Das gleiche sei für syrische Nachbarländer geplant.
Im Gegenzug ist laut Nachrichtenmagazin Spiegel ein "Deal" für Usbekistan im Gespräch, indem unter anderem die legale Einreise usbekischer Fachkräfte nach Deutschland geregelt werden soll.

Innenministerkonferenz in Potsdam

Die Innenministerkonferenz wird sich bei ihren anstehenden Beratungen (19. bis 21. Juni) in Potsdam mit dem Kurs in der Asylpolitik beschäftigen. Die tödliche Messerattacke eines Afghanen in Mannheim, bei der ein Polizist starb, dürfte das Treffen prägen.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte als eine Folge des Angriffs angekündigt, die Abschiebung von Schwerstkriminellen nach Afghanistan und Syrien wieder ermöglichen zu wollen. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) prüft das.

Syrien und Afghanistan: Gefahr von Menschenrechtsverstößen

Kritiker warnen vor erleichterten Abschiebungen in Länder wie Afghanistan und Syrien. Zum einen drohen Menschenrechtsverstöße, die dem internationalen Recht entgegenstehen.
Grund dafür sind die schlechten Lebensbedingungen vor Ort und die Missachtung von Menschenrechten durch die jeweiligen Gewaltherrschaften. Auch eine Abschiebung über die Nachbarländer hebt diese Gefahr für die Betroffenen nicht auf.

Risiko Heldenverehrung und Straffreiheit

Insbesondere in Afghanistan droht den Abgeschobenen, selbst Opfer der Taliban zu werden. Befürchtet wird zum anderen auch, dass die abgeschobenen Straftäter in ihren Heimatländern als "Helden" gefeiert werden, sich weiter radikalisieren und unter falscher Identität nach Deutschland zurückkehren.
Eine sofortige Abschiebung birgt zudem die Gefahr, dass der Täter möglicherweise ganz ohne Strafe davonkommt.

Sind die Grünen dafür, dass demnächst Straftäter nach Syrien und Afghanistan abgeschoben werden? Der Co-Parteivorsitzende Omid Nouripour im Gespräch bei Markus Lanz.

07.06.2024 | 01:24 min

Was die Politik tun kann

Ob eine Abschiebung nach Afghanistan oder Syrien rechtmäßig ist, entscheiden die Umstände des Einzelfalls, die sich immer wieder ändern können. Maßgebend für die Bewertung ist die konkrete Sicherheitslage im jeweiligen Heimatland und die individuelle Situation der abzuschiebenden Person. Diese Prüfung obliegt ausschließlich dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und den Gerichten.
Solange nicht feststeht, dass sich die Verhältnisse vor Ort zumindest in Teilen verbessert haben und damit die rechtlichen Rahmenbedingungen erfüllt sind, hat die Politik nur begrenzte Steuerungsmöglichkeiten:
Die Politik kann höchstens versuchen durch eine öffentliche Debatte, eine Diskussion in die Richtung anzustoßen oder auch vor Ort dann die tatsächlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Gerichte das dann für Abschiebungen akzeptieren.
Prof. Daniel Thym, Leiter Forschungszentrum Ausländer- & Asylrecht, Uni Konstanz
Es liegt damit an der Politik, die Gerichte davon zu überzeugen, dass die rechtlichen Kriterien für eine Abschiebung erfüllt sind. Das wäre der Fall, wenn etwa – wie zum Teil schon gefordert - die Region rund um Damaskus in Syrien als sicheres Gebiet bewertet würde.
Zusätzlich müssten Ressourcen investiert werden, um die Abschiebung von Straftätern tatsächlich umsetzen zu können – das erfordert auch einen Dialog mit dem Heimatland.
Virginia Baumbach ist Hospitantin und Birgit Franke Redakteurin in der ZDF-Redaktion Recht und Justiz

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