: Russlands Motive der Macht

von Mirko Drotschmann
14.05.2023 | 06:14 Uhr
Vor über einem Jahr begann die russische Invasion der Ukraine. Kritik innerhalb Russlands gibt es kaum. Dafür ist auch die Vergangenheit verantwortlich.

Die Frage, warum Russland sein Nachbarland überfällt und Menschen tötet, die es als Brudervolk bezeichnet, bewegt die Welt spätestens seit Februar 2022. Antworten darauf waren in der Rede zur Lage der Nation von Russlands Präsident Wladimir Putin wenige Tage vor Kriegsausbruch zu hören. Für ihn ist die Ukraine kein eigenständiges Land, sondern Teil des russischen Reiches.

Terra-X-Kolumne auf ZDFheute

In der Terra-X-Kolumne auf ZDFheute beschäftigen sich ZDF-Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten wie Harald Lesch, Mirko Drotschmann und Jasmina Neudecker sowie Gastexpert*innen jeden Sonntag mit großen Fragen der Wissenschaft - und welche Antworten die Forschung auf die Herausforderungen unserer Zeit bietet.

Russlands Herrschaftsanspruch

Russland ist der flächenmäßig größte Staat der Welt. Er erstreckt sich über 14 Zeitzonen. Doch der Herrschaftsbereich war einst viel größer, sowohl während des Zarenreiches als auch zu Zeiten der Sowjetunion, als deren legitimer Nachfolger sich Russland versteht.
Im Jahr 2005 bezeichnete Putin den Zerfall der Sowjetunion als "größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts". Als Ziel seiner Politik nannte er die Sicherung von Russlands Grenzen sowie die Fortsetzung der "zivilisatorischen Mission der Russischen Nation auf dem eurasischen Kontinent". Sein Ziel: die Wiederauferstehung des russischen Imperiums, auch mit Hilfe von Kriegen.

Jahrhundertelang verteidigen und erweitern Russlands Herrscher ihr Reich. Putins Überfall auf die Ukraine ist nur das jüngste Kapitel. Terra X History zeigt die Geschichte von Konflikten und Expansionsdrang.

19.02.2023 | 45:12 min

Putins Kriege

Schon wenige Tage nach Putins Amtsantritt als Ministerpräsident im Jahr 1999 sandte er Truppen nach Tschetschenien. Sie machten die Hauptstadt Grosny dem Erdboden gleich. Die Aktion gilt noch heute als Vergeltung für Bombenanschläge auf Wohnhäuser in Moskau, angeblich verübt durch tschetschenische Terroristen, vielleicht aber mit Hilfe des russischen Inlandsgeheimdienstes von Putin selbst inszeniert. Das Ziel: die nach Unabhängigkeit strebende Republik wieder eng an Russland zu binden.
In das ebenfalls nach Unabhängigkeit strebende Georgien ließ er 2008 Truppen einmarschieren mit der Begründung, die russische Minderheit in der Region zu schützen. So argumentiert Putin auch seit 2014 in Bezug auf die Krim und den Donbass. Beide Regionen sieht er historisch als Bestandteil Russlands.

Sieg im Großen Vaterländischen Krieg

Der Sieg über Hitlers Naziregime ist eines der wichtigsten Ereignisse im kollektiven Gedächtnis Russlands. Putin missbraucht es, indem er viele vermeintliche Gegner, die seiner Definition nach die Sicherheit Russlands bedrohen, zu 'Nazis' erklärt.
Während bei früheren Paraden meist die Worte "nie wieder" zu hören waren, wurde in den vergangenen Jahren die Parole Moschem powtorit - "wir können es wiederholen" - immer lauter. Ideologische Unterstützung findet Putin auch bei der Kirche.

Ist die "moderne Ukraine vollständig von Russland geschaffen" worden, wie Putin behauptet? Terra X History beleuchtet die Geschichte der Ukraine.

13.03.2022 | 44:59 min

Die Rolle der russisch-orthodoxen Kirche

Die russisch-orthodoxe Kirche ist eng mit dem Herrscher verknüpft. Man spricht traditionell von einer Sinfonie, in der weltliches und geistliches Oberhaupt harmonisch zusammenwirken, um den einzig wahren, den orthodoxen Glauben zu schützen. Nur für kurze Zeit, unter den Bolschewiken und zu Beginn der Stalin-Ära, wurde die russisch-orthodoxe Kirche verfolgt. Doch während des Zweiten Weltkrieges verbündete sie sich mit dem Diktator. Seitdem arbeitet sie auch eng mit den Geheimdiensten zusammen. Kyrill I. soll, wie Wladimir Putin, aktiver KGB-Agent gewesen sein.

Der Moskauer Patriarch und Putin-Vertraute Kyrill I. soll laut Schweizer Bundespolizei im Kalten Krieg ein KGB-Agent gewesen sein. Es gebe Beweise für diese These.

07.02.2023
Die enge Verflechtung zwischen Staat und Kirche sieht man auch daran, dass im Oktober 2022 neben der Entnazifizierung und der Entmilitarisierung der Ukraine noch ein drittes Ziel hinzugefügt wurde: die sogenannte Entsatanisierung des Landes. Kyrill hatte bereits früher in einer Predigt davor gewarnt, "dass die bösen Mächte, die immer gegen die Einheit der RUS und der russischen Kirche gekämpft haben, die Oberhand gewinnen". Damit wurde der Krieg auf eine religiöse Ebene gehoben und Putin zu einer Art Erlöserfigur.

Warum gibt es so wenig Opposition?

1.000 Jahre Geschichte, in denen das riesige Reich meist von einem starken Herrscher mit Hilfe eines unbarmherzigen Machtapparats regiert wurde, haben die Menschen in Russland nachhaltig geprägt. Die sich regende Opposition wurde in den vergangenen Jahren gewaltsam unterdrückt und die freie Presse im Land systematisch zum Schweigen gebracht.
Die staatliche Propaganda tut das Übrige. Daraus ergibt sich eine Stimmung im Land, die Irina Scherbakova, Mitbegründerin der Organisation Memorial, die 2022 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, folgendermaßen beschreibt:
Das ist nicht nur Angst vor Gewalt, das ist Angst vor der Wahrheit, was wir in diesem Krieg ganz massiv sehen."
Irina Scherbakova, Mitbegründerin der Organisation Memorial
All das trägt dazu bei, dass sich die Situation kurzfristig wahrscheinlich nicht ändern wird. Das Problem, vor dem viele Russen stehen, hat der Schriftsteller Viktor Jerofejew in einem Satz zusammengefasst: "Der Punkt ist, dass die Menschen in Russland nicht leben, sie überleben."

Mirko Drotschmann ...

... ist Historiker und Journalist. Für Terra X erklärt er im TV historische Zusammenhänge und im Internet die Welt. Auf Youtube ist er bekannt als MrWissen2Go Geschichte und auch auf Instagram sorgt er für die tägliche Dosis an historischem Wissen. Außerdem ist er eingefleischter KSC-Fan.

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