: Wenn die Umwelt krank macht

von Thomas Hauer
02.02.2024 | 05:38 Uhr
Die Ursachen einer Multiplen Chemikaliensensibilität (MCS) sind bis heute nicht geklärt. Dabei steckt hinter der Krankheit viel mehr als ein psychisches Problem.

MCS ist eine chronische Multisystem-Erkrankung, die sich beispielsweise durch eine Unverträglichkeit von künstlichen Duftstoffen, Reinigungsmitteln oder Baumaterialien äußert.

30.01.2024 | 06:05 min
Es gibt für die Multiple Chemikaliensensibilität (MCS) keine genaue Diagnose und keine Therapie, aber die Betroffenen sind starken Symptomen und einem hohen Leidensdruck ausgesetzt. Nicht wenige Mediziner erklären die Beschwerden einfach zu einem psychischen Problem.

Wie sich eine MCS äußert

Von einem Tag auf den anderen reagieren die Betroffenen von MCS mit starken körperlichen Symptomen, sobald sie in Kontakt mit bestimmten Chemikalien kommen. Eine breite Palette von Substanzen kommt dabei als Auslöser in Frage. Das können bestimmte Inhaltsstoffe in Baumaterialien, Lösungs- und Reinigungsmitteln oder künstliche Duftstoffe sein.
Mögliche Symptome sind Atemnot, Gliederschmerzen, neurologische Symptome wie Schwindel oder starke Migräne, Übelkeit, Seh- oder Hörstörungen. Sie werden ausgelöst durch Einatmen oder Hautkontakt. Schon sehr geringe Konzentrationen, bei denen andere Menschen keine gesundheitlichen Schwierigkeiten haben, können zu den Beschwerden führen.

Was zur Entstehung vermutet wird

Zur Entstehung von MCS werden verschiedene Mechanismen diskutiert. Dazu zählen Störungen von immunologischen Prozessen beziehungsweise allergischen Reaktionen, Änderungen der Funktion des Nervensystems, Veränderungen von biochemischen Prozessen oder Veränderungen von psychologischen Funktionen. In Studien zeigte sich bei MCS-Erkrankten eine höhere Infektanfälligkeit. Eine Hypothese zur Entstehung geht von einer Veränderung der Hirnfunktionen aus, allerdings gibt es dafür nur schwache Hinweise.

Wer von MCS betroffen ist

Da die Gründe der Krankheit noch unbekannt sind, ist es schwer, sie Risikogruppen zuzuordnen. Statistisch gesehen sind wesentlich mehr Frauen als Männer betroffen. Bei manchen Betroffenen kommt es nur zu leichten Reaktionen, andere wiederum sind so stark erkrankt, dass sie ein Einsiedlerleben außerhalb der Gesellschaft führen müssen.
Auffällig ist allerdings, dass die meisten MCS-Erkrankten entweder in ihren früheren Berufen mit Chemie zu tun hatten oder dass sie sich vor dem Ausbruch der Erkrankung in neuen oder modernisierten Gebäuden aufgehalten haben. Das generelle Problem ist allerdings, dass sich Versicherungen und Berufsverbände bei möglichen juristischen Auseinandersetzungen darauf beziehen, dass der Auslöser für MCS bisher nicht identifiziert werden kann.

Warum die Diagnose so schwierig ist

Das uneinheitliche Erscheinungsbild von MCS erschwert die Diagnose. Hinter den Betroffenen liegt außerdem meist eine Odyssee von einem Facharzt zum anderen, zum Beispiel vom Allergologen über den Gastroontologen bis hin zum Dermatologen. Dadurch wird die Krankengeschichte oft sehr komplex. Es kann zu diversen Nebendiagnosen kommen, die den Blick auf MCS als einheitliches Krankheitsbild verstellen.
Laut der Umweltmedizinerin Claudia Traidl-Hoffmann von der Universitätsklinik Augsburg ist die Diagnose MCS eine Ausschlussdiagnose. Erst wenn andere Erkrankungen ausgeschlossen werden können, sei dies als Hinweis auf MCS zu werten, weil bisher keine wissenschaftlich objektiven Auslöser identifiziert werden konnten.
Welche zellulären Mechanismen, welche molekularen Mechanismen sich da konkret abspielen, wissen wir bis heute nicht.
Prof. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann, Umweltmedizinerin, Universitätsklinik Augsburg

Betroffenen werden oft psychische Auslöser unterstellt

Weil die meisten Ärzte der Erkrankung hilflos gegenüberstehen, wird sie schnell zu einem rein psychischen Problem erklärt. Doch dem stehen die starken körperlichen Symptome entgegen. Allerdings geht die Erkrankung oft mit psychischen Veränderungen einher. Psyche und Körper scheinen bei MCS besonders eng miteinander gekoppelt zu sein. Der Leidensdruck ist hoch, ein soziales Leben ist mit MCS kaum möglich.

Was das Meiden von Auslösern bedeutet

Den Kontakt mit künstlichen Chemikalien zu vermeiden, ist für die Betroffenen die einzige Möglichkeit, mit der Erkrankung umzugehen. Doch im Alltag ist das oft sehr schwer. Berufe müssen aufgegeben werden. Freundschaften und Familien können zerbrechen. Denn ein Leben, das den Kontakt zu chemischen Stoffen vermeidet, kann bedeuten, Abstand zu halten zu Menschen, die Hygieneartikel oder Waschmittel nutzen.
Auch wenn bisher kein organischer Grund für MCS gefunden werden konnte, gilt: Die Leiden der Patienten müssen ernst genommen werden. Dass die Erkrankung bis heute nur wenig bis gar nicht verstanden sei, ist für Experten wie Umweltmedizinerin Claudia Traidl-Hoffmann ein Problem: "Wir haben die Patientinnen und Patienten, die definitiv darunter leiden, und deswegen müssen wir unbedingt daran forschen."

Wie MCS-Patienten Hilfe finden

Expertensuche

Der Deutsche Berufsverband klinischer Umweltmediziner e. V. bietet über das Internet die Möglichkeit einer Expertensuche an.

Therapieansätze

Umweltmedizinerin Claudia Traidl-Hoffmann vermutet, dass es bei der Entstehung von MCS zu einer falschen Konditionierung kommt. Dahinter verbirgt sich ein unbewusster Lernprozess im Zusammenhang mit einem Reiz. Auf harmlose Stoffe kann der Körper dann mit einer Überreaktion und diversen körperlichen Symptomen reagieren. Hier könnte möglicherweise ein Therapieansatz liegen. So konnten einige Patienten, die mit gewissen Symptomen auf Duftstoffe reagieren, wieder positiv konditioniert werden, indem diese Duftstoffe zusammen mit einem positiven Reiz präsentiert wurden, erläutert Traidl-Hoffmann.

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