: "Man darf den Kanzler beleidigen"

von Nicola Albrecht, Brandenburg an der Havel
25.03.2024 | 21:52 Uhr
Olaf Scholz stellt sich in Brandenburg an der Havel den Fragen der Bürgerinnen und Bürger. Die Themen sind ernst, in die Enge gedrängt wirkt der Bundeskanzler aber nicht.
Bundeskanzler Scholz beim "Kanzlergespräch" in Brandenburg: Umringt von Bürgerinnen und Bürgern.Quelle: dpa/Soeren Stache
Im Stahlpalast in Brandenburg an der Havel stellt sich Bundeskanzler Olaf Scholz am Montagabend den Fragen von 160 Bürgerinnen und Bürgern.
Es wird ein 90-minütiger Ritt durch eine breite Themenpalette: Von Migration, Brandmauern, den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten bis zur Rente in Deutschland.
Vor dem Stahlpalast empfangen rund 150 Demonstranten den Bundeskanzler, darunter Vertreter der AfD und der Jungen Alternative, ein paar Putin-Versteher und Russlandfahnen-Schwenker. Sie kritisieren vor allem die Ampelregierung, bezichtigen die Grünen als "Kriegstreiber" und loben dann den Kanzler lautstark für seine Taurus-Entscheidung. Er habe damit immerhin den Dritten Weltkrieg verhindert.

Kanzler sucht den direkten Austausch

Im Stahlpalast sitzen 160 Bürger im Kreis, Kanzler und Moderatorin stehen in der Mitte, sozusagen im Ring, und die Fragen prasseln aus allen Richtungen auf ihn ein. Doch genau das hat Scholz bewusst so ausgesucht.
Seine Umfragewerte in puncto Beliebtheit waren zu Beginn des Jahres auf einen neuen Tiefpunkt gestürzt. Scholz wählt vielleicht auch deswegen immer wieder das Format des Bürgerdialogs, weil er darin eine Chance sieht, seine Politik im direkten Austausch zu erklären - jenseits von Berlin in ganz Deutschland, vor allem auch in der Provinz.

Scholz mahnt zu Besonnenheit in aufgeheizten Debatten

"Ich erlebe, dass Menschen zunehmend sagen, wir können nicht mehr laut aussprechen, was wir denken", äußert ein besorgter Bürger gleich zu Beginn des Abends in Brandenburg. Scholz kontert:
Man darf in diesem Land alles sagen, man darf sogar den Kanzler beleidigen.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)
Er fügt hinzu, dass es bei aufgeheizten Debatten gut tun würde, ein wenig "locker zu bleiben", das verbessere auch das Miteinander.

Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung. Demnach können von 137 untersuchten Ländern nur 63 als Demokratie bezeichnet werden.

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Locker bleiben und den Diskurs beibehalten - auf Basis der Demokratie - denn da sei die rote Linie: "Ich bin der Meinung, dass es Brandmauern geben muss, und zwar da, wo die Demokratie gefährdet ist. In anderen Ländern lassen Menschen ihr Leben, um wählen zu können", so Scholz auf die Anmerkung eines Bürgers, dass die Demokratie in Deutschland in schlechtem Zustand sei und es mehr direkte Bürgerbeteiligung brauche.

Wenig Raum für Humor und Gelassenheit

Doch so richtig locker wird die Veranstaltung nicht. Die Fragen sind ernst, die Antworten ernsthaft. Für Humor und Gelassenheit bleibt wenig Raum, auch wenn Scholz sich Zeit nimmt und nicht in die Enge gedrängt wirkt. Er agiert eher ein wenig schulbuchmäßig: bedankt sich hanseatisch-höflich für jede Frage, für das Interesse der Bürger an wichtigen Themen und erklärt dann auch mal umgangssprachlich seine Sicht der Dinge.
"Ich kenne auch welche, die sich immer irgendwie durchschlawienern", so Scholz und meint Bürgergeld-Schummler. Totalverweigerer können deswegen jetzt auch sanktioniert werden. Dann fallen Leistungen weg. Sein Ziel sei es auch, dass niemand nicht arbeite. "Nee, Freundchen, ohne Arbeit ist auch keine gute Idee", formuliert er salopp.

Die CDU will das Bürgergeld umbauen und durch eine "Neue Grundsicherung" ersetzen. Das Konzept sieht unter anderem verbindlichere Anforderungen und schärfere Sanktionen vor.

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Gleichzeitig weist er auf die Verantwortung Deutschlands für ärmere Länder hin, auf die Frage, ob man nicht mehr Geld in die eigene Bevölkerung stecken wolle, statt andere Länder zu unterstützen. "Mit 84 Millionen unter acht Milliarden sind wir dritt- oder viertgrößte Volkswirtschaft der Welt." Das bringe auch eine Verantwortung für Ärmere mit sich.

Bei der Taurus-Frage wird es kurz emotional

Immer wieder bekommt er freundlichen Applaus. Und dann wird es kurz doch noch emotional. Es geht um Taurus: Ein Herr bedankt sich bei Scholz und kämpft dabei mit den Tränen: "Respekt, ich ziehe den Hut vor Ihrer Entscheidung, Nein zu Taurus zu sagen." Scholz wiederum bedankt sich bei ihm für diese Anmerkung.

Die 50-Milliarden EU-Hilfen für die Ukraine seien "ein ganz wichtiger Schritt", sagte Kanzler Scholz im Bundestag.

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Am Ende des Abends wird nur ein Besucher ausfällig und ruft dem Kanzler zu: "Correctiv hat gelogen, wann trittste endlich ab?" Er wird aus dem Saal begleitet und Scholz wendet sich lieber der letzten offiziellen Frage zu: Warum Beamte nicht in die Rentenkasse einzahlen?
Das sei eine gute Tradition, dass man in Deutschland ein Berufsbeamtentum habe, so seine Antwort. Weil die vorgesehene Zeit für den Dialog aber schon überzogen war, schließt der Kanzler kurz mit den Worten: "Der alte Fritz ist schuld!"
Nicola Albrecht ist Leiterin des ZDF-Landesstudios Brandenburg.

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