: Wie Kiews Erfolg den Wagner-Chef stärkt

von Christian Mölling, András Rácz
12.05.2023 | 20:23 Uhr
Die Ukrainer haben die russische Zange um Bachmut öffnen können. Wagner-nahe Militärblogger übertreiben wohl die russische Schwäche - und stärken damit Wagner-Chef Prigoschin.
Offenbar rücken die Ukrainer bei Bachmut vor - das stärkt paradoxerweise Wagner-Chef Prigoschin. Quelle: dpa
Trotz mehrerer blutiger Bemühungen ist es den russischen Streitkräften nicht gelungen, Bachmut bis zum 9. Mai einzunehmen. Wäre es den Russen gelungen, Bachmut für den "Tag des Sieges" zu sichern, hätte dies dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ermöglicht, die Einnahme der Stadt als strategischen Sieg darzustellen, auch wenn es keiner gewesen wäre.

Russische Moral und Versorgung desaströs

Die russischen Truppen in und um Bachmut hatten lange Zeit nicht nur mit der ukrainischen Verteidigung zu kämpfen, sondern auch mit immer gravierenderen Versorgungsproblemen, die nicht nur die Munition, sondern auch die Grundversorgung betrafen. Auch die Moral der Truppen wurde aufgrund der hohen Verluste und der Erschöpfung immer schwächer.
Darum wäre die Hoffnung auf eine Endschlacht verfrüht:
Im Gegensatz zur Ukraine setzte Russland keine zusätzliche Rotation für seine Truppen in und um Bachmut ein. Während die ukrainischen Soldaten in der Regel nach etwa einer Woche intensiver Kämpfe innerhalb der Stadt ausgetauscht werden, müssen die Russen manchmal monatelang in ihren Stellungen bleiben.

Plötzlicher Rückzug russischer Brigade

Soweit sich aus offenen Quellen rekonstruieren lässt, führten diese Faktoren in Verbindung mit schweren Verlusten zum plötzlichen Rückzug (möglicherweise zum Zusammenbruch) der russischen motorisierten 72. Infanteriebrigade von der Frontlinie südlich von Bachmut. Den Ukrainern gelang es, die durch den "Zusammenbruch" dieser russischen Einheit entstandene Gelegenheit zu nutzen und schnell in das Loch einzudringen, das sich plötzlich an der russischen Frontlinie auftat.
Hier gewann die Ukraine einige Quadratkilometer Gebiet südlich der Stadt zurück.
Darum wird ausgerechnet Bachmut so heftig umkämpft:
Parallel dazu startete die Ukraine einen Gegenangriff am nordwestlichen Stadtrand von Bachmut und konnte die russischen regulären Streitkräfte um etwa einen Kilometer zurückdrängen.
Mit diesen beiden ukrainischen Angriffen gelang es also, die russische Zange um Bachmut ein wenig zu öffnen. Sollte es den Ukrainern gelingen, diese zurückeroberten Stellungen zu halten oder weiter vorzurücken, würde dies die Gefahr einer Einkreisung Bachmuts weiter verringern.
Putin feiert Militärparade in Moskau:

Russland feiert traditionell am 9. Mai den Sieg über Nazi-Deutschland 1945.

09.05.2023 | 01:28 min

Panik im russischen Informationsraum?

Interessanterweise waren die territorialen Veränderungen vor Ort zwar unbedeutend, aber im russischen Informationsraum begannen sich Wellen der Panik zu verbreiten. Mehrere Militärblogger, die der Wagner-Gruppe angehören, verbreiteten Informationen über einen großen ukrainischen Durchbruch und über russische Truppen, die sich angeblich in Panik zurückziehen.
Mit Stand vom 12. Mai lässt sich aus öffentlich zugänglichen Quellen nicht feststellen, wie viel Territorium die Ukrainer genau zurückgewonnen haben - aber die ganze Operation scheint nicht mehr als ein lokaler Gegenangriff zu sein.

Dr. Christian Mölling ...

Quelle: DGAP
... ist Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin und leitet dort das Programm Sicherheit, Verteidigung und Rüstung. Er forscht und publiziert seit über 20 Jahren zu den Themenkomplexen Sicherheit und Verteidigung, Rüstung und Technologie, Stabilisierung und Krisenmanagement. Für ZDFheute analysiert er regelmäßig die militärischen Entwicklungen im Ukraine-Konflikt.

Dr. András Rácz ...

Quelle: DGAP
... ist Associate Fellow im Programm Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Er forscht und publiziert zu Streitkräften in Osteuropa und Russland und hybrider Kriegsführung.
Der wahrscheinliche Grund, warum Wagner-nahe Militärblogger begonnen haben, solche unbegründeten Informationen zu verbreiten, ist, dass Jewgeni Prigoschin wiederholt das reguläre russische Militär kritisiert hat. Wenn nun Gerüchte über den Rückzug oder den Zusammenbruch der russischen regulären Streitkräfte in der Region verbreitet werden, entspricht dies genau den früheren Aussagen Prigoschins.
Warum Wagner-Chef Prigoschin ein Profiteur dieses Krieges ist:

Wagner-Chef Prigoschin nutze den Krieg in der Ukraine, um sich sein Geschäft zu sichern, so Russland-Expertin Magarete Stein.

05.05.2023 | 07:52 min

Wohl kein Teil der größeren Offensive

Auch wenn das genaue Ausmaß des ukrainischen Erfolgs noch nicht definiert werden kann, ist dies sicherlich noch nicht die wichtigste Gegenoffensive. Die Ausbildung einiger ukrainischer Einheiten ist noch nicht abgeschlossen (zum Beispiel wird die Ausbildung für Leopard-1-Panzer erst am 1. Juni beendet sein), und die Ukraine muss die Angriffe gegen russische logistische Ziele noch eine Weile fortsetzen. Bemerkenswert ist, dass auch Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj darauf hingewiesen hat, dass mehr Zeit für die Einleitung der Gegenoffensive benötigt wird.
Experte Vad: Warum die Ukraine "auf Zeit spielen muss":
Alles in allem zeigen die Ereignisse der letzten Tage rund um Bachmut, dass die russische Propaganda (genauer gesagt, die mit Prigoschin verbundene Propaganda) in der Lage ist, nicht nur die Macht Russlands, sondern auch seine Schwächen zu übertreiben, wenn die Interessen Prigoschins dies erfordern.
Aktuelle Meldungen zu Russlands Angriff auf die Ukraine finden Sie jederzeit in unserem Liveblog:

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