Analyse

: Wie der Krieg in Nahost die Welt spaltet

von Johannes Hano, Singapur
12.11.2023 | 07:39 Uhr
Rund um die Welt beschäftigt der Gaza-Krieg die Menschen. Die Wucht der Reaktionen, vor allem im globalen Süden, lässt vermuten, dass mehr dahintersteckt, als das Leid in Nahost.
Pro-palästinensische Demonstranten in Kalkutta, Indien.Quelle: Imago
In den engen Gassen von Alt-Delhi in Indien erzählt ein muslimischer Stoffhändler, dass die Menschlichkeit aussterben werde dieser Tage. Und teilt dem ZDF-Team, das ihn interviewt, dann mit, dass er ja gar nicht wisse, was wirklich los sei in Gaza. Denn 80, 90 Prozent der Medien seien "von den Juden kontrolliert", behauptet er. Er fühle mit den Palästinensern mit, denn "Muslime seien Brüder, die einander lieben würden", als ob es die Kriege zwischen Irak und Iran, den Bürgerkrieg im Jemen, IS und Al Kaida nie gegeben hätte.

Vom Hamas-Terror spricht kaum noch jemand

In Indonesien und Malaysia werden amerikanische Fastfoodketten boykottiert, und in Europa rufen Extremisten auf pro-palästinensischen Demonstrationen demokratieverachtend nach dem Kalifat. Von dem beispiellosen Angriff der Hamas-Terroristen spricht in vielen Ländern kaum noch jemand.
Die Vereinten Nationen schaffen es in ihrer jüngsten Gaza-Resolution noch nicht einmal, die Hamas beim Namen zu nennen und deren Abschlachten und Vergewaltigen von wehrlosen Menschen zu verurteilen.   

Die UN-Vollversammlung hat eine Resolution zur Verbesserung der humanitären Situation im Gazastreifen verabschiedet. Auch eine sofortige Waffenruhe wurde darin gefordert.

28.10.2023 | 00:21 min
Stattdessen rufen Länder wie Südafrika, Chile, Venezuela ihre Diplomaten aus Israel zurück und Bolivien bricht gleich alle diplomatischen Beziehungen ab.
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UN: Mehr als 100 Verurteilungen Israels, China nicht auf der Liste

Allein in den nächsten Wochen würden in den Vereinten Nationen wohl 15 Israel-kritische Resolutionen verabschiedet, erklärt Hillel Neuer, Direktor der in Genf ansässigen Nichtregierungsorganisation UN Watch. Gleichzeitig aber sei nicht eine Resolution zur Menschrechtslage in China, Venezuela, Saudi-Arabien oder 175 anderen Ländern in Arbeit. "Wie steht es denn da um die Sorge für internationales Recht und Menschenrechte?", fragt Neuer.
Nun könnte man sagen, dass die aktuelle Lage ein besonderes Augenmerk auf Israel verlangt. Aber wenn man sich die Geschichte der Israel-Verurteilungen in den UN ansieht, dann weiß man, dass mehr dahinterstecket als der Moment. Im UN-Menschenrechtsrat gab es seit seiner Gründung 2006 bis heute mehr als 100 Verurteilungen Israels, 14 mal wurde der Iran verurteilt, China steht gar nicht auf der Liste, hat Neuer gerade erst vor dem Auswärtigen Ausschuss des US-Kongresses gesagt.

Zwei Blöcke um den Gaza-Konflikt

Warum aber fokussiert sich die Welt immer wieder so auf Israel? Erklärungen gibt es verschiedene, doch eine scheint für die Zukunft unserer Welt von tieferer Bedeutung. Es wird deutlich, dass sich um den Krieg in Gaza herum zwei Blöcke formieren, die darum ringen, wer die Weltordnung in Zukunft dominiert.
Es sei eine Art Stellvertreterkrieg, erklärt die Politikwissenschaftlerin Nadzalama Mathebula von der Universität Johannesburg, Südafrika. "Russland und China unterstützen die Palästinenser, der Westen Israel." Das Besondere diesmal aber sei, dass viele Länder gerade des globalen Südens ihre Furcht vor dem globalen Hegemon, den USA, und seinen Verbündeten verlieren würden, denn am Horizont ziehe eine Alternative auf: BRICS.

Das ist das politische und wirtschaftliche Bündnis von Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, das gerade neue Mitglieder, unter anderem Iran und Saudi-Arabien, aufgenommen hat. Ziel ist die Schaffung einer neuen Weltordnung. "Wir bewegen uns definitiv auf eine Art Krieg, eine globale Verunsicherung zu, die dazu führen wird, dass viele Länder Partei ergreifen werden, wenn es zum Beispiel um ihre Sicherheit oder wirtschaftliche Zusammenarbeit geht", so Mathebula.

BRICS als Alternative zu den USA?

Die USA hätten vielen Ländern keinen Raum gegeben, sich frei zu entwickeln, doch jetzt gebe es mit China und den BRICS eine liberale Alternative.

Eine Alternative zu G7 - das wollen die Brics-Staaten bieten. Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika treffen sich dazu in Johannesburg. Vladimir Putin ist zugeschaltet.

22.08.2023 | 03:06 min
China und Russland als liberale Alternative zu den USA? Südafrika, so Mathebula, habe mit seiner harschen Israel-kritischen Position seine Partner in der Allianz auf globaler Bühne unterstützt. So, wie andere wohl auch.
Der Krieg in Gaza ist zum Dreh- und Angelpunkt geworden für die Attacke auf die von den USA dominierte Weltordnung. Und die, die diese Weltordnung beseitigen wollen, haben kein Interesse, dass sich daran schnell etwas ändert. Von der Antwort, die der Westen darauf findet wird abhängen, wie eine zukünftige Weltordnung aussehen wird.

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