: War's das jetzt mit dem Energiespar-Eifer?

von Oliver Klein
29.01.2023 | 17:44 Uhr
Experten geben Entwarnung für den Winter, Schwimmbäder erhöhen die Temperaturen, der Gasverbrauch steigt - ist der Energiespar-Eifer vorbei? Und können wir uns das leisten?
Eine Gasmangellage in diesem Winter scheint unwahrscheinlich - im nächsten könnte es aber Probleme geben.Quelle: dpa
Die Zeichen scheinen auf Entspannung zu stehen. Deutschland konnte seinen Gasverbrauch deutlich verringern: In den Monaten Oktober bis Dezember sank der Verbrauch der Industrie um 23 Prozent und der private Verbrauch um 21 Prozent im Vergleich zu den Vorjahren. Das geht aus Angaben der Bundesnetzagentur hervor. Sie bewertet die Gasversorgung als stabil, die Lage sei inzwischen weniger angespannt. "Eine Gasmangellage in diesem Winter wird zunehmend unwahrscheinlich", heißt es.
Seit Wochen sinken auch deshalb die Großhandelspreise für Erdgas - und so hat sich auch die Lage auf dem Energiemarkt unerwartet deutlich entspannt. Die ersten Schwimmbäder erhöhen sogar wieder ihre Wassertemperaturen.

Kälte lässt Verbrauch in die Höhe schießen

Doch der Gasverbrauch nimmt wieder zu: In der dritten Kalenderwoche 2023 ist er aufgrund der winterlichen Temperaturen - gegenüber einem sehr milden Jahresanfang - um fast 35 Prozent gestiegen. Der Einspareffekt gegenüber dem durchschnittlichen Verbrauch der vergangenen Jahre 2018 bis 2021: Nur noch knapp zehn Prozent. Was aber laut Bundesnetzagentur nicht reicht: Nötig wären 20 Prozent Einsparungen, um im nächsten Winter auf der sicheren Seite zu sein, schrieb Behördenpräsident Klaus Müller auf Twitter.
Klaus Müller bei Twitter
Tatsächlich war es Mitte Januar zweieinhalb Grad kälter als in den Vorjahren und auch die Temperaturprognose für die kommenden Tage verspricht keine deutliche Besserung. Die Füllstände in den deutschen Gasspeichern sinken kontinuierlich, seit Tagen schon um etwa ein Prozent täglich.

Ohne Temperatureffekt werden Sparanstrengungen sichtbar

Doch rechnet man den Temperatureffekt heraus, werden die Sparanstrengungen der Deutschen wieder sichtbar: Laut Bundesnetzagentur lag der Verbrauch zuletzt temperaturbereinigt fast 20 Prozent unter dem Referenzwert der vergangenen Jahre. Was viel klingt, ist jedoch nur ein theoretischer Wert - für die Frage, ob es zu einer Gasmangellage kommt, ist letztlich vor allem die tatsächlich gesparte Gasmenge entscheidend.
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Was die Stufen “stabil", "angespannt" und "kritisch" jeweils bedeuten:

Temperaturprognose

Je kälter es ist, desto mehr Gas wird verbraucht. Aus diesem Grund spielt es eine wichtige Rolle, welche Temperaturen der Deutsche Wetterdienst für die kommende Woche prognostiziert. Ist die Durchschnittstemperatur für die nächsten sieben Tage höher als zur selben Zeit 2018 bis 2022, gilt die Lage als "stabil". Liegt die Prognose null bis zwei Grad niedriger als damals, wird die Lage als "angespannt", bei noch niedrigeren Temperaturen als "kritisch" bewertet von der Bundesnetzagentur (BNetzA).

Gasverbrauch temperaturbereinigt

Für den Vergleich mit der Zeit vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine und der damit verbundenen Gasknappheit vergleicht man den aktuellen Verbrauch mit dem durchschnittlichen Verbrauch früherer Jahre zur selben Zeit. Wie kalt es im Winter ist, schwankt jedoch von Jahr zu Jahr: Daher berechnet die BNetzA anhand von mathematischen Modellen, wie hoch der Gasverbrauch ohne Einsparungen zu erwarten gewesen wäre, wenn die Temperaturen aktuell so hoch oder niedrig wie 2018 bis 2021 ausfielen. Nebenbei lässt sich damit auch untersuchen, ob Haushalte, Gewerbe und Industrie aktuell weniger Gas verbrauchen, weil es wärmer ist als 2018 bis 2021, oder weil sie ihr Verhalten geändert haben und aktiv Gas sparen.

Anhand des temperaturbereinigten Verbrauchs beurteilt die BNetzA die Lage der Gasversorgung als "stabil", wenn mehr als 20 Prozent Gas eingespart werden. "Angespannt" wird sie zwischen 20 und 10 Prozent Einsparung und "kritisch", wenn weniger eingespart wird.

Speicherfüllstände

Um eine Gasmangellage im Frühjahr zu vermeiden und ausreichend volle Speicher im Winter 2024/25 zu haben, sollen die Gasspeicher bis zum 1. Februar 2024 nicht weniger als 40 Prozent gefüllt sein. Zu diesem gesetzlichen Ziel berechnet die Bundesnetzagentur (BNetzA) "Speicherpfade": Mögliche Füllstände bis Ende des Winters, falls bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind - zum Beispiel ausreichend LNG-Lieferungen, weniger Verbrauch oder ähnliche Temperaturen wie 2018 bis 2021.

Wenn der Speicherstand auf dem Weg ist, am 1. Februar immer noch über 55 Prozent zu liegen, ist die Lage laut BNetzA "stabil". Ist damit zu rechnen, dass die Speicher zum Stichtag zu 55 bis 40 Prozent gefüllt sind, gilt die Lage als "angespannt"; ist von weniger als 40 Prozent auszugehen, gilt sie als "kritisch".

Situation in den Nachbarländern

Verschärft sich die Gassituation in den benachbarten Ländern, wirkt sich dies auch auf Deutschland aus: Deutschland bezieht sein Gas aktuell zu einem großen Teil von seinen europäischen Nachbarn und leitet es teilweise an andere Nachbarn weiter.

Verschärft sich die Situation bei den Ländern, in die Deutschland eher exportiert, schätzt die Bundesnetzagentur (BNetzA) die Lage als "angespannt" ein; verschärft sie sich bei den Ländern, aus denen Deutschland Gas eher importiert, schätzt die BNetzA die Lage als "kritisch" ein.

Beschaffung Regelenergie

Mithilfe der sogenannten Regelenergie soll der Gasdruck in den Leitungen aufrecht gehalten werden. Die Gesellschaft Trading Hub Europe (THE), die den deutschen Gasmarkt organisiert, muss den Druck ausgleichen, indem sie für Deutschland Gas einkauft.

Wenn die angebotenen Gasmengen an der Energie-Börse nicht ausreichen, wird die Lage "angespannt" laut Bundesnetzagentur. Können die erforderlichen Mengen Gas auch anderweitig nicht eingekauft werden, gilt die Lage als "kritisch".

Wirtschaftsweise warnt vor Gasknappheit kommenden Winter

Doch wie geht es nun weiter? Auch wenn Experten für diesen Winter nicht mehr mit einer Gasmangellage rechnen, ist die Gefahr für den kommenden Winter nicht gebannt: Wenn die fallenden Großhandelspreise irgendwann auch auf die Verbraucher durchschlagen, besteht das Risiko, dass vor allem die Industrie wieder deutlich mehr Gas verbraucht - und somit eine Gasmangellage entstehen könnte. Vor diesem Szenario warnte zuletzt die Wirtschaftsweise Veronika Grimm in der "Neuen Osnabrücker Zeitung".

Heute hat der Bundestag die Preisbremsen für Strom und Gas auf den Weg gegeben. Gleichzeitig soll ein Anreiz zum Energie-Sparen erhalten bleiben.

15.12.2022 | 01:36 min
Die Gasmarktpreise seien vor allem aufgrund des milden Winters und höherer Einsparungen mehr als erwartet gesunken, erklärt Gasmarktexperte Fabian Huneke vom Beratungsunternehmen Energy Brainpool. Wie es dieses Jahr weitergeht, hänge in erster Linie vom Wetter im Rest der Heizsaison ab.
Wenn der Rest des Winters es zulässt, dass wir das gerade gespeicherte Gas nicht doch noch zum großen Teil brauchen, könnte es ein Sommerloch bei den Preisen geben.
Fabian Huneke, Gasmarktexperte bei Energy Brainpool
Für den nächsten Winter müsse man aber wieder gewappnet sein: Einen Gasverbrauch wie in einem sehr kalten Winter könne man sich in Europa auch im nächsten Winter noch nicht leisten. Das Risiko einer teuren Gasmangellage im nächsten Winter sei noch da, aber gewaltig gesunken. Einen eindeutig fallenden Preistrend sieht Huneke erst ab 2025.
Fazit: Für diesen Winter ist eine Gasmangellage unwahrscheinlich. Um aber auch sicher über den nächsten Winter zu kommen, muss eher mehr als weniger Gas eingespart werden. Fallende Preise bergen das Risiko, dass vor allem die Industrie wieder mehr Gas verbraucht.
mit Material von dpa

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