: Ende einer Ära: Alle Atommeiler abgeschaltet

15.04.2023 | 22:10 Uhr
Ende einer Ära: Der letzte deutsche Atommeiler ist abgeschaltet. Die einen feiern, andere trauern - und politisch bleibt der Schritt umstritten. So verlief der Tag.
Nach rund sechs Jahrzehnten geht in Deutschland das Zeitalter der Atomkraftwerke zu Ende. In dieser Nacht gingen die letzten Meiler Isar 2 in Bayern, Emsland in Niedersachsen und Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg vom Netz. Kernkraftgegner feierten den historischen Schritt zum Atomausstieg schon tagsüber mit Festen in Berlin und anderswo.

Entscheidung zum Atomausstieg ist umstritten

Als erstes kommerzielles Kernkraftwerk war der Meiler in Kahl in Bayern im November 1960 in Betrieb gegangen - seit Juni 1961 speiste er Strom ins Netz ein. Auch wenn die Entscheidung zum Ausstieg in Deutschland seit langem politisch besiegelt ist, schwelt die Debatte über das Für und Wider der Atomkraft weiter.
Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) sagte der Deutschen Presse-Agentur, der Atomausstieg mache Deutschland sicherer. "Die Risiken der Atomkraft sind im Falle eines Unfalles letztlich unbeherrschbar." Grünen-Chefin Ricarda Lang twitterte, der Atomausstieg bedeute den "endgültigen Einstieg ins Zeitalter der erneuerbaren Energien." Die SPD-Bundestagsfraktion schrieb auf Twitter: "Atomkraft? Und Tschüss".
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Hingegen forderte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai, diese Technologie nicht völlig aufzugeben. "Die Kernenergie muss auch nach dem Ausstieg eine Zukunft in Deutschland haben", sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. "Dazu gehört, dass wir die Forschung auf dem Gebiet der Kernfusion ausweiten und die Chancen neuer und sicherer Technologien der Kernspaltung nutzen."
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte, er glaube an eine Neuauflage der Kernenergie. "Wir spüren diese große Energiekrise, wir brauchen jedes Fitzelchen Energie."
Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) forderte mehr Forschung an neuen Technologien. "Der Ukraine-Krieg und die Energiekrise zeigen uns, dass wir uns breit aufstellen müssen. Wir müssen besonders angesichts des Atomausstiegs technologieoffen Forschung fördern. Nicht nur aussteigen, sondern auch mal einsteigen", sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".

Der Atomausstieg ist überfällig. Sind wir vorbereitet? Wie können wir Wärme und Energie in Zukunft sichern? Der Ausstieg allerdings schafft auch Raum für Zukunftstechnologien.

11.04.2023 | 27:47 min

Demonstrationen für und gegen Atomkraft

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace feierte den Ausstieg aus der Atomenergie in Berlin. Am Brandenburger Tor zeigte sie ein rotes Männchen, das mit einem "Atomkraft? Nein Danke"-Schild und einem Schwert auf einem nachgebauten Dinosaurier stand. Auf dem Bauch des Dinos stand "Deutsche Atomkraft" und "Besiegt am 15. April 2023!". In Berlin protestierten am Samstag aber auch einige Menschen gegen die Abschaltung der Kernkraftwerke.
In München veranstalteten der Bund Naturschutz und Greenpeace ein Atomausstiegsfest. Zur Kundgebung kamen nach Schätzungen der Polizei rund 1.000 Teilnehmer. In Baden-Württemberg feierten Hunderte Kernkraftgegner vor dem Meiler Neckarwestheim ein "Abschaltfest".
Wenige Stunden vor der Abschaltung des Kernkraftwerks Emsland forderten Atomkraftgegner in Lingen einen konsequenten Ausstieg aus der Atomindustrie in Deutschland. Hunderte Atomkraftgegner zogen von der Brennelementefabrik ANF, die zum französischen Framatome-Konzern gehört, zum nahe gelegenen Atomkraftwerk. Die Demonstranten freuten sich einerseits über das Ende der Nutzung der Kernenergie - andererseits forderten sie aber auch ein Aus für die Brennelementefabrik in Lingen.

Meiler-Mitarbeiter erst einmal weiterbeschäftigt

Für die Mitarbeiter des Meilers Isar 2 ist das Abschalten nach Angaben des Vorsitzenden des Konzerns PreussenElektra, Guido Knott, ein emotionaler Moment: "Heute endet nach 50 Jahren die Stromproduktion aus Kernenergie bei PreussenElektra. Das geht uns allen sehr nahe, und das macht auch mich persönlich sehr betroffen."
Der Konzern hatte mitgeteilt, dass sämtliche Mitarbeiter feste Arbeitsverträge bis 2029 erhielten. Danach soll die Mitarbeiterzahl reduziert werden. Am Standort Essenbach arbeiten rund 450 Menschen.

Schrittweise Abschaltung bis Mitternacht

Das letzte Atomkraftwerk wurde um kurz nach Mitternacht abgeschaltet - es war der Meiler Neckarwestheim in Baden-Württemberg. Zuvor waren die Meiler Emsland und Isar 2 vom Netz gegangen.

Uneinheitliches Vorgehen in Europa

Europäische Länder gehen ganz unterschiedlich mit der Atomkraft um:
  • In Belgien sollen AKWS bis mindestens Ende 2035 weiterlaufen können.
  • Die Schweizer Kernkraftwerke dürfen so lange betrieben werden, wie sie sicher sind. Der Bau neuer Kernkraftwerke ist verboten.
  • Die linke Regierung Spaniens will alle Kernkraftwerke des Landes zwischen 2027 und 2035 schließen.
  • Italien ist schon im Zuge der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl (1986) aus der Kernenergie ausgestiegen.
Quelle: dpa

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